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Wachoperation am Gehirn: Patientin muss Bilder erkennen und ganze Sätze bilden

Neurochirurg Prof. Dr. Walter Stummer, Patientin Britta Langer, Neurologe PD. Dr. Christoph Kellinghaus (v.l.).

Welche Überwindung es Britta Langer gekostet hat, sich dieser Operation zu unterziehen, ist ihr auch nach acht Monaten noch anzumerken. „Ich musste all meinen Mut dafür aufbringen“, sagt die 38-Jährige aus Fürstenau. „Aber es hat mir geholfen. Und ich möchte nun anderen Menschen sagen, dass sie keine Angst davor zu haben brauchen.“

Die Frau hat sich, wie sie schildert, im Klinikum Osnabrück einer Wachoperation unterzogen, einem hochspezialisierten Eingriff, bei dem sie ansprechbar war und kleine Sprach- und sogar Bewegungstests absolviert hat, während der Neurochirurg Prof. Dr. Walter Stummer ihr den Schädel geöffnet und ein winziges Stück Gewebe aus ihrer Hirnrinde entfernt und der Neurologe PD Dr. Christoph Kellinghaus die elektrische Aktivität der Hirnrinde überwacht hat. Wie die beiden Chefärzte erläutern, werden solche Eingriffe gemacht, wenn Gewebe an einer Stelle entfernt werden muss, an der bestimmte Funktionen des Gehirns gefährdet sind – etwa zur Beseitigung von Tumoren, vernarbtem Gewebe oder gestörten Zellbereichen, auf die epileptische Anfälle und andere neurologische Erkrankungen zurückgehen können.

Zwar lasse sich mit Bildgebungsverfahren gut erkennen, wo sich Tumore oder anderes Gewebe befinden, das entfernt werden muss. „Was wir aber nicht sehen können, sind die Bahnen, auf denen die Funktionen durch das Gehirn laufen“, beschreibt Stummer. „Das geht nur im Ausschlussverfahren“. Wir senden dabei winzige Reizstromimpulse in einzelne Zellbereiche und überprüfen gleichzeitig mit den Patienten ihre sprachlichen, motorischen und kognitiven Fähigkeiten. Wenn etwas beeinträchtigt ist, dürfen wir hier nicht operieren.“

Welche Tests gemacht werden, hänge davon ab, welche Fähigkeiten in dem Bereich des Gehirns angesiedelt sind, der operiert werden muss. „Bei Operationen in der Nähe des Sprachzentrums fordern wir die Patienten etwa auf, Bilder zu erkennen und die Antworten in ganzen Sätzen zu formulieren. Oder wir lassen sie einfache Rechenaufgaben lösen. Es geht bis hin zu komplexen Abläufen, etwa dass jemand in der Operation Gitarre spielt, wenn seine Fähigkeit dazu erhalten bleiben muss.“

Wie Stummer erläutert, werden solche Eingriffe ohne Vollnarkose gemacht. „Das ist streng genommen nicht erforderlich, weil Schädelknochen und Gehirn schmerzunempfindlich sind. Nur die Kopfhaut empfindet Schmerzen und wird betäubt“, so Stummer. „Es ginge zudem nicht in Vollnarkose, weil die Patienten ja ansprechbar sein müssen. Sie bekommen aber Medikamente, die ihre Eindrücke dämpfen und es verhindern, dass sie sich an etwas erinnern.“ Das sei auch bei ihr der Fall gewesen, so Britta Langer. „Ich musste Bilder erkennen und ganze Sätze bilden – aber ich weiß nichts mehr davon“, sagt sie. „Und die Operation war ein Erfolg. Ich habe seitdem in acht Monaten nur einen Anfall erlitten – das übertrifft für mich alles. Ich wäre auch nur mit der geringsten Linderung zufrieden gewesen.“

Langer ist seit ihrem vierten Lebensjahr von einer schweren Epilepsie betroffen. Bei dieser neurologischen Erkrankung kommt es dazu, dass Zellen meist in einem einzelnen Teil des Gehirns gleichzeitig ungewollt eine Vielzahl von Impulsen aussenden. Dieser Funkensturm löst bei den Erkrankten das Zucken und Krampfen der Muskeln oder ganzer Muskelpartien aus, das bis zur Bewusstlosigkeit führen kann. Ursachen können Entzündungen, Narben von Verletzungen, Schlaganfälle oder Fehlbildungen des Gehirns sein. „Ich hatte die Anfälle nicht jeden Tag, aber mehrfach pro Woche und dann immer mehrere. Mein Rekord sind 36 an einem Tag.“ Als Auslöser sei bei ihr, so Langer, eine winzige Fehlbildung in der Hirnrinde festgestellt worden. „Aber es hat Jahre gedauert, bevor das klar war. Und wegen der Nähe zum Sprachzentrum und zum motorischen Zentrum war eine Operation erst nicht machbar.“

Ihr erster Anfall habe sich relativ pünktlich vor ihrem vierten Geburtstag eingestellt, berichtet Ursula Langer, die Mutter, die in den 34 Jahren der Erkrankung jeden Schritt mit ihrer Tochter gegangen ist. „Britta ist an einem 12. April erst im Kindergarten umgefallen. Wir haben gedacht, dass ihr schwindelig geworden sei, so dass ich sie nach Hause geholt habe – aber dann hat sich ein zweiter Anfall eingestellt, bei dem sie am ganzen Körper gezittert hat. Mein Mann und ich sind dann mit ihr in eine Notaufnahme gefahren – seither haben wir alles in allem neun Krankenhäuser durch.“ Britta sei mit immer neuen Medikamenten behandelt worden, die keinen Erfolg gebracht hätten. „Erst Dr. Kellinghaus, mit dem wir über Bethel nach Osnabrück gekommen sind, hat festgestellt, wo genau in Brittas Gehirn der Auslöser ihrer Epilepsie ist und uns die Operation empfohlen.“

Die Wachoperation im Klinikum war bereits der zweite neurochirurgische Eingriff, dem sich Britta Langer unterzogen hat. Die erste Operation wurde 2007 im Epilepsiezentrum Bethel in Bielefeld durchgeführt, die vorbereitenden Untersuchungen liefen am Universitätsklinikum Münster, in dem Kellinghaus vorher gearbeitet hat. „Verbesserungen der Bildgebungsverfahren hatten es damals ermöglicht, Gehirnbereiche besser erkennen zu können, in denen epileptische Anfälle ausgelöst werden“, erinnert sich Kellinghaus. „Nach der Operation bin ich nach Osnabrück gewechselt und wir haben damals bereits hier die Nachsorge gemacht.“

Bei Britta Langer hatte sich anschließend zwar Besserung eingestellt, aber sie war nicht anfallsfrei und musste weiter große Mengen von Medikamenten einnehmen. „Diese Medikamente sind mit vielen Nebenwirkungen verbunden und wirken auf die Dauer immer weniger, so dass ich immer mehr davon nehmen musste“, erklärt sie. Bei neuen Untersuchungen im Epilepsiezentrum des Klinikums seien weiter Auffälligkeiten in dem bereits operierten Teil ihres Gehirns festgestellt worden und mit der nun machbaren Wachoperation habe sich eine aussichtsreiche Therapiemöglichkeit für sie ergeben. „Früher wäre es nicht machbar gewesen, so präzise zu operieren, aber ich habe mich trotzdem davor gefürchtet, dass Sprache oder Bewegungsfähigkeiten beeinträchtigt sein könnten“, sagt Britta Langer. „Aber das war nicht der Fall und kann es jedem Erkrankten nur empfehlen, die Möglichkeit einer Operation prüfen zu lassen.“

Wie Kellinghaus, Chefarzt der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation am Klinikum, erläutert, kommen Operationen nicht für jeden Epilepsieerkrankten infrage. „Epileptische Anfälle sind aber relativ verbreitet – in Deutschland ist jeder Hundertste davon betroffen. Operationen sind für etwa fünf bis zehn Prozent von ihnen eine Option – also doch eine beträchtliche Anzahl von Menschen“, so der Neurologe. „Viele Erkrankte gelangen leider erst in Epilepsiezentren und erhalten Kenntnis von solchen Möglichkeiten, wenn sie bereits von einem ganz hohen Leidensdruck betroffen sind.“

Nach den Worten von Stummer, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie am Klinikum Osnabrück und Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Münster, sind Gehirnoperationen und besonders Wachoperationen etwas, bei dem die meisten Menschen erst einmal tief Luft holen. „Aber das ist unbegründet. Auch die Wachoperationen, die als besonders verängstigend empfunden werden, sind eine ganz sichere und präzise Methode, die auch bereits zur Routine für uns geworden ist. Solche Eingriffe führen wir etwa einmal pro Woche durch.“


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