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Pfefferminztee war ein großer Triumph: 41-Jährige hat nach Schlaganfall wieder Schlucken gelernt

Wackelpudding schlucken geht schon wieder gut: Prof. Dr. Rainer Dziewas und Isabel Brandebusemeyer kontrollieren im Klinikum Osnabrück regelmäßig bei Untersuchungen mit einem Endoskop die Schluckfunktion von Zdravka Simeonova.

Um ihren Mund- und Rachenraum zu trainieren, pustet Zdravka Simeonova in ein Druckventil. Das spricht die Muskulatur an und trägt dazu bei, dass sie wieder die Kontrolle über ihre Schluckreflexe erlangt.

Zdravka Simeonova hat einen Wunsch. Die Frau aus Wildeshausen, die zurzeit in der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation des Klinikums Osnabrück behandelt wird, möchte unbedingt so bald wie möglich ein Schnitzel essen. Sehr gerne auch Sushi oder Fisch aus der Pfanne. Noch vor sechs Wochen schien es undenkbar, dass sie so etwas formuliert.

Die 41-Jährige hat einen Schlaganfall erlitten, von dem ihr Hirnstamm betroffen ist, also ausgerechnet jener Teil des Gehirns, der wichtige Funktionen wie das Schlucken und das Atmen steuert. Einfach so, aus heiterem Himmel, berichtet Simeonova, sei sie morgens im Badezimmer ohnmächtig geworden – und nur das schnelle Eingreifen einer Freundin, habe sie, wie sie jetzt weiß, gerettet. Nach dem Schlaganfall wurde Simeonova zunächst im Krankenhaus in Westerstede versorgt und musste anfangs im Rahmen einer intensivmedizinischen Behandlung sogar für mehrere Tage künstlich beatmet werden. Seit Anfang Dezember, etwa vier Wochen nach dem Schlaganfall, befindet sie sich zur Rehabilitation – also zur Anschlussbehandlung – im Klinikum Osnabrück.

Wie Prof. Dr. Rainer Dziewas berichtet, der das Team der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation seit kurzem als neuer Chefarzt neben Prof. Dr. Florian Stögbauer verstärkt, wird bei ihr ein neues Verfahren zur Behandlung von schweren Schluckstörungen (Dysphagien) eingesetzt, das er gerade erst in dem Haus auf dem Finkenhügel etabliert hat. Bei der sogenannten „Pharyngealen Elektrischen Stimulation“ (PES) bewirken winzige elektrische Impulse, die an den Nervenbahnen im Rachenraum mit einer Sonde verabreicht werden, dass die Patienten wieder die Kontrolle über ihre Schlucksteuerung erhalten können – und zwar auch bei schwersten Beschwerden, wie sie bei Zdravka Simeonova vorlagen.

Als die Frau in Osnabrück ankam, lagen bei ihr, wie Dziewas und die behandelnde Logopädin, Frau Isabel Brandebusemeyer, berichten, überhaupt keine Reflexe im Rachenraum mehr vor. Sie war nicht einmal mehr in der Lage, ihren Speichel herunterzuschlucken, so dass er abgesaugt werden musste. Ständiges Würgen und Husten waren die Folge und ihre Ernährung erfolgte ausschließlich über eine Magensonde. „Wir haben Anfang Dezember bei Frau S. mit einer multimodalen Dysphagietherapie begonnen, die neben der PES auch eine differenzierte logopädische Behandlung umfasst“, berichtet Dziewas. Simeonova wurde drei Wochen lang jeweils an drei Tagen immer nur wenige Minuten lang mit der elektrischen Stimulation behandelt. Erst habe sie davon gar nichts gespürt, berichtet sie, dann schließlich ein leichtes Kribbeln und etwas Wärme.

„Die elektrische Stimulation ‚erinnert‘ die Nervenbahnen im Rachenraum sozusagen an ihre Funktionen – das schafft die Voraussetzung dafür, dass die zusätzlichen logopädischen Therapien ihre Wirkung entfalten und die Patienten wieder die Kontrolle über ihr Schlucken erlangen“, erklärt Dziewas. Nach der elektrischen Stimulation, auf die sie sehr rasch angesprochen hat, absolviert Simeonova nun weiter jeden Tag ein Programm mit Übungen zur Kräftigung der Schluckmuskeln im Mund-/Rachenraum, die ebenfalls richtig gut bei ihr anschlagen. Pusten in ein Druckventil, abwechselnd warme und kalte Flüssigkeiten oder Eis in den Mund nehmen, Gymnastik für den Halsbereich – es sind ganz unterschiedliche Übungen, die Dysphagieexpertin Isabel Brandebusemeyer mir ihr absolviert.

Nachdem es Simeonova zuerst gelungen ist, wieder Getränke und dann Wackelpudding zu schlucken, ist sie nun bereits bei pürierter Normalkost. „Es ist ohne übertriebenen Optimismus inzwischen ein realistisches Therapieziel, dass sie nicht mehr auf zusätzliche künstliche Ernährung angewiesen ist, wenn wir sie entlassen“, sagt Dziewas. „Und wenn man bedenkt welche Fortschritte Frau Simeonova bereits bis jetzt gemacht hat, gehe ich davon aus, dass sie das ganz bestimmt schaffen wird.“

Wie Brandebusemeyer erläutert, beinhalten die nächsten Schritte, dass Frau Simeonova erst Brot und dann Vollkost isst. „Es ist ganz schwierig für die Patienten, von ganz weicher wieder zu fester Kost zu kommen, weil sie sich vom Kauen bis zum Schlucken alles neu aneignen müssen. Und vielfach ist es mit einer Überwindung verbunden“, so die Dysphagieexpertin. Davon berichtet auch die Patientin. Anfangs habe sie Angst gehabt, Husten zu müssen und sich sogar ein bisschen vor dem Essen gefürchtet. „Das war schlimm, weil ich ja gerne etwas essen wollte“, sagt Simeonova.

Auch habe sie sich mit der künstlichen Ernährung nicht wohl gefühlt. „Ich esse gerne und ich habe einen großen Mann und wir haben Kinder, einen 16-jährigen Sohn und eine zehnjährige Tochter, für die ich gerne koche – und das möchte ich auch künftig wieder machen“, sagt Simeonova. Sie ist froh, dass sich ihre Beschwerden schon deutlich verbessert haben – das Schlucken des Speichels funktioniert und wenn sie kaut und schluckt, dauert es zwar noch länger als vorher, aber sie muss sich nicht mehr überwinden.

Zuerst hat sich Simeonova am meisten darüber gefreut, dass sie wieder Pfefferminztee zu sich nehmen konnte. „Den trinke ich nämlich sehr gerne. Und was ich auch sehr gerne mag, ist das Cola-Eis, das wir bei den Heiß- und Kalt-Übungen nehmen.“ Jetzt bei der Untersuchung nutzte Simeonova einen Rollstuhl, auf den sie aber nur noch für längere Wege angewiesen ist. „Mit dem Rollator komme ich in meinem Zimmer alleine schon wieder gut voran. Mir ist klar, dass noch ganz viel Arbeit auf mich zukommt, wenn ich wieder frei gehen will – aber ich will das schaffen.“

Der Neurologe Prof. Dr. Rainer Dziewas hat an mehreren Studien mitgearbeitet, in denen die Anwendung des seit 2013 zugelassenen PES-Verfahrens im klinischen Alltag untersucht wurde. Vor seinem Wechsel ans Klinikum Osnabrück war er im Universitätsklinikum Münster an der bisher größten PES-Studie beteiligt, in der die Behandlungsverläufe von 255 Patienten aus 14 Krankenhäusern in Österreich, Deutschland und Großbritannien ausgewertet wurden. Die Ergebnisse der von Dziewas und zwei Kollegen geleiteten Studie, die in der Fachzeitschrift „EClinicalMedicine“ veröffentlicht wurden, belegen, dass die PES-Behandlung zu einer klinischen relevanten Besserung bei schweren Schluckbeschwerden führen kann und dass sich mit dem Verfahren auch in chronischen Krankheitsphasen, in denen therapeutische Erfolge üblicherweise nur schwer zu erzielen sind, noch Behandlungserfolge erreichen lassen.

News-Kategorie Neurologie


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