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Niemals wegsehen: Klinikum ist neue Untersuchungsstelle des „ProBeweis“-Netzwerks für Gewaltopfer

Ein Kooperationsvertrag besiegelt die Zusammenarbeit: Klinikums-Geschäftsführer Rudolf Küster und Sarah Stockhausen von „ProBeweis“ freuen sich über den Beitritt des Krankenhauses zu dem Netzwerk. Fotograf: Jens Lintel

Das Klinikum Osnabrück ist dem Netzwerk „ProBeweis“ beigetreten, in dem Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt komplett vertraulich die Spuren von Angriffen gerichtsverwertbar dokumentieren und die Befunde/Beweismittel sichern lassen können, auch wenn sie nicht sofort Anzeige erstatten.

Hintergrund für das Netzwerk ist es, dass sich Betroffene unmittelbar nach Gewaltvorfällen in vielen Fällen nicht an die Polizei wenden, so dass keine Spuren mehr gesichert werden können und eine Dokumentation ihrer Verletzungen ausbleibt. Auch wenn sie um medizinische Hilfe ersuchen, ist nicht sichergestellt, dass Befunde fachkundig u.a. mit Fotos dokumentiert werden, was für ein späteres Gerichtsverfahren jedoch sehr wichtig ist.

Um es den Betroffenen zu ermöglichen, Beweise sichern lassen zu können, auch wenn sie das Einleiten weiterer Schritte gegen die Täter erst später entscheiden, hat das Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bereits 2012 die Initiative „ProBeweis“ gestartet. Zunächst gab es das Angebot nur in der Landeshauptstadt. Mittlerweile ist daraus ein Netzwerk von Untersuchungsstellen erwachsen, das in Niedersachsen bereits eine große Flächendeckung erreicht hat. Wie die Rechtsmedizinerin Sarah Stockhausen von der MHH erläuterte, verfügt „ProBeweis“ nun mit dem Beitritt des Klinikums Osnabrück über 44 Untersuchungsstellen in 35 Städten. Damit ist das Angebot bereits in 24 von 37 Landkreisen in Niedersachsen verfügbar.

Rudolf Küster, Geschäftsführer im Klinikum, wies bei der Auftaktveranstaltung darauf hin, dass Michael Hagedorn, Mitglied des Aufsichtsrats, den Beitritt des Klinikums zum Netzwerk „ProBeweis“ bestärkt hätte. „Ich finde es auch persönlich sehr wichtig, dass sich unser Haus gegen häusliche und sexuelle Gewalt positioniert“, sagte Küster. „Gewalt hat ganz viele Gesichter, sie ist niemals schön – aber sie geschieht, ständig, auch um uns herum. Wofür wir uns einsetzen, ist, dass bei Gewalt nicht weggesehen wird und sie niemals akzeptiert wird – egal in welcher Form und in welchem Umfeld. Die Beweissicherung ist eine bedeutende Hilfe für die Betroffenen.“

Sarah Stockhausen berichtete von erschreckend hohen Fallzahlen: Nach ihren Angaben sind 2021 nur in Niedersachsen über 24000 Fälle von häuslicher Gewalt und mehr als 10500 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bekannt geworden. Besonders bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sei eine immense Zunahme um 18,2 Prozent registriert worden. Es sei bekannt, machte Stockhausen deutlich, dass viele Straftaten in diesem Bereich gar nicht aktenkundig werden, so dass die echte Fallzahl noch deutlich höher liegt. Opfer sind nach ihren Angaben meist Frauen, zu etwa 95 Prozent.

Die Betroffenen wenden sich aus Scham nicht an die Polizei und andere Hilfsstellen oder weil sie Reaktionen von den Tätern fürchten. Deswegen werde bei „ProBeweis“ auch besonders darauf geachtet, dass die Daten und Beweismittel vor jedem Zugriff, außer von den Opfern, geschützt sind und das in dem Prozess kein Schriftverkehr und keine Kontaktaufnahmen zustande kommen, aus denen Täter davon Kenntnis erlangen könnten. „Es geht nicht anonym, weil wir ja die Namen der Betroffenen brauchen, um die Fälle zu hinterlegen“, erklärte sie, „aber wir arbeiten absolut vertraulich. Die Beweisaufnahme ist kostenlos, es ist keine Krankenkassenkarte erforderlich und wenn die Opfer keinen Ausweis oder andere Dokumente bei sich haben, geht es natürlich auch.“

Nach den Angaben von Stockhausen werden die Fälle in den Untersuchungsstellen in einem standardisierten Verfahren von geschulten Medizinerinnen und Medizinern gerichtsverwertbar dokumentiert und Beweismittel fachkundig gesichert. „ProBeweis“ stellt den Untersuchungsstellen dazu u.a. Digitalkameras und Behälter für die Sicherung von Spurenmaterial wie Blut, Speichel, Sperma und Urin zur Verfügung. Die Untersuchungsstellen nehmen die Fälle auf und geben die Dokumentation und die gesicherten Beweise danach an das Institut für Rechtsmedizin weiter. Spurenmaterial wird laut Stockhausen drei Jahre lang aufbewahrt, die Dokumentationen 30 Jahre lang.

Für den Nachweis von sogenannten K.-o.-Tropfen ist es erforderlich, dass Blut-/Urinproben zeitnah nach der Verabreichung genommen werden. Auch die Sicherung von DNA-Spuren nach Vergewaltigungen sei zeitkritisch. Ebenso komme es darauf an, Würgemale, Hämatome und andere Verletzungen zu dokumentieren, bevor sie wieder vergehen.

Nach Informationen von Stockhausen wurden im „ProBeweis“-Netzwerk dieses Jahr bereits wieder in 122 Fällen Beweismittel und Dokumentationen gesichert (2021:215). Die gute Seite der Bilanz: Zu 55 Fällen wurden eingelagerte Informationen abgefordert, um sie vor Gericht gegen die Täter zu verwenden. Bekannt sei, dass sich etwa 20 Prozent der Betroffenen entschließen, später noch Verfahren einzuleiten – manchmal erst nach Jahren.

Im Klinikum ist die „ProBeweis“-Untersuchungsstelle im Notaufnahmezentrum angesiedelt. Sie ist rund um die Uhr mit Medizinerinnen und Medizinern besetzt, die von „ProBeweis“ noch zusätzlich für den Umgang mit Gewaltopfern geschult wurden. Wer sichergehen will, besonders geschützt zu sein, kann sich vorher über Tel. 0541 4057400 bei der Untersuchungsstelle anmelden.

 


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