„Der durchschnittliche Geriatrie-Patient ist mindestens 70 Jahre alt und von mehr als einer Erkrankung und Folgen von früheren Erkrankungen betroffen“, so Chefärztin der Klinik für Geriatrie und Palliativmedizin am Klinikum Osnabrück. „Die Geriatrie, eigentlich ein Schwerpunkt der Inneren Medizin, zeichnet deswegen vor allem aus, dass sie breit aufgestellt ist: Es wirken zahlreiche medizinische Fachbereiche, Therapeuten und spezialisierte Pflegefachkräfte in multiprofessionellen Teams zusammen, um Patientinnen und Patienten mit akuten und chronischen Leiden zu versorgen. Therapieziel ist es dabei meist, den funktionellen Status zu erhalten oder wiederherzustellen – also die Erkrankten dabei zu unterstützen, dass sie trotz ihrer Mehrfacherkrankungen weiter selbstständig bleiben können oder auf so wenig Hilfe wie möglich angewiesen sein werden.“
Die Fachärztin für Innere Medizin, spezialisiert auf Klinische Geriatrie, Palliativmedizin und Physikalische Therapie, ist seit 2022 die Chefärztin der Klinik für Geriatrie und Palliativmedizin. Die von Kwetkats Vorgänger, Hon.-Prof. Dr. Dieter Lüttje, gegründete Klinik begeht dieses Jahr einen Doppelgeburtstag. Sie besteht seit 30 Jahren und ist seit zehn Jahren im Zentrum für Neuromedizin und Geriatrie (ZNG), also dem 2014 eröffneten Anbau, untergebracht.
In dem u.a. für mobilitätseingeschränkte Menschen ausgelegten ZNG stehen der Abteilung für Geriatrie 47 Betten und dem von Oberärztin Dr. Birgit Teigel geleiteten Palliativbereich 12 Betten zur Verfügung, daneben sind Therapie- und Trainingsräume, Dachgarten, Ruhe- und Gemeinschaftsbereiche und sogar ein Entspannungsbad vorhanden. Wie Kwetkat erklärt, werden, wenn die Betten belegt sind, ältere Erkrankte auch in anderen Abteilungen von ihrem Team mit dem multiprofessionellen Ansatz der Geriatrie versorgt.
„Eine unserer Besonderheiten ist die Nachbarschaft und die enge Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Parkinson und Bewegungsstörungen. Die spielen gerade auch in der Altersmedizin eine große Rolle. Deshalb haben wir mittlerweile eine einmal wöchentliche gemeinsame Visite etabliert, um die Versorgung der Patienten zu verbessern, die die besondere Expertise beider Fachrichtungen benötigen“, so Kwetkat. „Aber es geht noch viel weiter, denn auch Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Pflege und bei Bedarf der Sozialdienst sind mit eingebunden und alle Beteiligten bekommen so einen tieferen Einblick in die fachübergreifenden Therapiemöglichkeiten dieser Patienten.“
Das Behandlungsspektrum der Geriatrie umfasst alle Bereiche von der Akutgeriatrie über die Geriatrische Frührehabilitation, die Geriatrische Rehabilitation bis zu einem „teilgeschützten“ Bereich für Erkrankte mit Verhaltensauffälligkeitenbei Demenz-Leiden. Wie Kwetkat beschreibt, werden ältere Menschen, wenn sie über die Notaufnahme ins Klinikum gelangen, mit dem sogenannten ISAR-Screening (Identification Of Seniors At Risk) bewertet, einem verbreiteten Verfahren, mit dem u.a. der geriatrische Versorgungsbedarf eingeschätzt werden kann. Auf Grundlage dieser Bewertungen erfahre ihre Klinik von allen Erkrankten mit entsprechendem Behandlungsbedarf und könne sie entweder aufnehmen oder ggf. in anderen Abteilungen mitbetreuen.
Nach den Worten von Kwetkat kommt bei der medizinischen Versorgung von älteren Menschen eine große Varianz beim Verlauf der Alterung sowie durch Vorerkrankungen und ihre Krankheitsgeschichte zum Tragen. „Es erfordert ein ganz genaues Hinsehen, um bei Beschwerden zu unterscheiden, ob sie auf eine neue Erkrankung, eine unerwünschte Wirkung einer Therapie oder doch noch auf einen ,normalen‘ Abbau- oder Alterungsprozess zurückgehen. Bei der Behandlung muss außerdem berücksichtigt werden, dass der Organismus von älteren oft anders als der von jungen Menschen reagiert.“
Wie sie erklärt, werden beim Abwägen von Behandlungsentscheidungen immer alle körperlichen, geistigen, funktionalen und sozialen Aspekte sowie die individuelle Lebenssituation mit einbezogen. „Bei der Behandlung eines Patienten mit – sagen wir – fünf gleichberechtigt schweren chronischen Erkrankungen müssen Schwerpunkte gesetzt werden und die Behandlungsentscheidungen müssen genau aufeinander abgestimmt sein. Ein leicht vorstellbares Beispiel ist ein Patient mit einer Herzinsuffizienz, der von einer Kniegelenksarthrose betroffen ist und in einer Wohnung im ersten Stock lebt. Damit er weiter alleine leben kann, muss er Treppensteigen und nimmt Medikamente gegen die Schmerzen durch die Arthrose – aber diese dürfen nicht kontraproduktiv für seine Herzbeschwerden sein. Insofern verfolgt die Geriatrie immer einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Therapieoptionen, Medikation und auch die Ernährung umfasst.“